Psychogramm China: Verstehen lernen
Wie nehmen wir China wahr? Und was sagt das über uns und unser Handeln aus? China ist mittlerweile wieder eine Weltmacht und nimmt auch in Wirtschaft und Politik immer mehr Raum ein. Aber was wissen wir über China, wie werden wir informiert und was muss passieren, damit wir anfangen uns auf die neue Epoche vorzubereiten? Eine Epoche in der Eurasien im Zentrum unseres Denkens steht? Darüber spricht die Moderatorin des Podcast, Sabrina Weithmann, mit Stefan Baron. Herr Baron hat diese Fragen zusammen mit seiner Frau Guangyan Yin-Baron im gemeinsamen Buch „Die Chinesen – Psychogramm einer Weltmacht“ ausgearbeitet.
Transkript zur Podcast-Folge: Psychogramm China
Sabrina Weithmann: Herzlich willkommen Herr Baron, schön dass Sie im Podcast dabei sind.
Stefan Baron: Ich freue mich über die Einladung. Ich glaube, wir hätten keinen besseren Tag wählen können als heute. Mit dem Beginn des NPC, dem nationalen Volkskongress in China, da steht wieder so viel Mist in den deutschen Medien. Hätten wir das Buch noch nicht geschrieben, dann würden wir uns heute dazu entschließen.
Sabrina: Fangen wir auch direkt mit dem Buch an. Ich vermute, dass es wahrscheinlich in der Vergangenheit auch die ein oder andere Situation gab, die auch der Auslöser für das Buch war.
Baron: Ja natürlich, aber es gibt jetzt nicht den EINEN, ganz konkreten Auslöser für das Buch. Es ist über viele Jahre, gereift bei mir und meiner Frau. Wir haben uns immer wieder und zunehmend darüber gewundert, und auch geärgert, dass man trotz der wachsenden Bedeutung Chinas und den wachsenden Kontakten zu China, China uns Deutschen, so fremd geblieben ist. Und dass die alten Stereotype nicht verschwinden wollen, und dass die öffentliche Meinung ständig zwischen Extremen hin und her schwankt. Entweder ist es Arroganz oder Angst und China wird entweder idealisiert oder dämonisiert. Einmal drückt es uns an die Wand und einmal bricht es selbst zusammen. Also es ist wirklich kurios und das geht bis heute so. Da kann man auch wieder sehen, was das über den neuen Haushalt für 2019 geschrieben wird, das ist einfach unfassbar.
Sabrina: Wir hatten nun auch schon die Stereotypen angesprochen. Ich muss sagen, als ich das erste Mal ihr Buch in einem Regal gesehen habe, da dachte ich mir dann DIE CHINESEN als Titel, ganz schön mutig. Da muss es um Stereotypen gehen, ist zum Glück nicht so, aber wer sind denn jetzt eigentlich DIE CHINESEN?
Baron: So wie Ihnen ist es natürlich vielen gegangen und zuallererst auch den Leuten beim Verlag, die gesagt haben DIE Chinesen, die gibt es gar nicht. Aber auf einem Umschlag kann man nicht so furchtbar differenziert sein, sonst fängt man die Leute auch nicht ein. Aber natürlich ist ein riesen Land wie China, mit fast 1,4 Milliarden Menschen, da gibt es nicht DEN Chinesen, das sind ja keine Roboter. Das ist ein unglaublich vielfältiges Land, aber es gibt einen Fundus an Gemeinsamkeiten der Chinesen. Das Buch geht über die Han-Chinesen. Erstmal ist das ja natürlich eine bestimmte Ethnie. 90% der Chinesen gehören der Ethnie der Han an, das haben sie schon mal gemeinsam. Und vor allem haben sie auch eine über Jahrtausende alte Geschichte, eine Geistesgeschichte, gemeinsam. Trotz der vielen Minderheiten, die es gibt. Es gibt offiziell anerkannt über 50 Minderheiten.
Sabrina: Jetzt gibt es immer wieder so ein paar Schlagwörter, wie beispielsweise Konfuzianismus der ganz oft angesprochen wird, aber auch das Thema des kollektiven Bewusstseins, das man Chinesen auch immer zuschreibt. Jetzt tagt aktuell der Nationale Volkskongresses, ein riesen Parlament. Aber was hat es denn damit eigentlich auf sich, mit diesem kollektiven Bewusstsein der Chinesen. Sehen die sich wirklich alle als eines, als die Han-Chinesen, ein Volk das zusammengehört oder was steckt dahinter?
Baron: Ja, das glaube ich schon und zwar gilt das nicht nur für die Chinesen, die in China selbst leben. Das hat mich anfangs immer verblüfft, wie unglaublich verbunden also kulturell, geistesgeschichtlich und emotional auch verbunden sie sind. Egal, ob sie mit der Regierung in Peking ablehnend gegenüberstehen, aber die Verbundenheit mit China, als einer Kultur, die ist enorm. China ist mehr eine Kulturnation als eine politische Nation. Die Chinese definieren sich, egal wo sie leben in der Welt, sehr stark über ihre Kultur und ihre Geschichte. Es heißt ja immer, sie sind alle die Nachkommen des gelben Kaisers. Das ist mehr ein Schlagwort, aber dahinter steht eigentlich die Aussage „wir sind alle eine Kultur“. Durch Konfuzianismus, Daoismus und durch all diese geistesgeschichtlichen Entwicklungen, die es gegeben hat gekennzeichnet. China ist eine Kulturnationen, stärker als eine politische. Die politische Nation ist erst so in den letzten Jahrzehnten zunehmend entstanden.
Sabrina: Kann man denn sagen, dass sich dieses Bewusstsein über die letzten Jahre auch ändert oder kann man wirklich sagen, dass diese Kulturverbundenheit bestehen bleibt oder gibt’s tatsächlich auch Aspekte, wo man sagen dass diese über mehrere Generationen nachlässt?
Baron: Also natürlich entwickeln sich Kulturen mit ihrer Umwelt immer weiter. Das ist schon richtig, es wäre ja merkwürdig wenn es anders wäre. Aber Kulturen sind träge und das gilt ganz besonders für eine so alte Kultur wie die Chinesische, die auch als einzige alte Hochkultur bis heute überlebt hat, im Unterschied zu Ägypter, Griechen, Römer, Inkas, Babylonier, etc. Da ist eine ganz starke Basis da. Und trotz der Modernisierung, die wir überall erleben, der neuen Generation, der Ein-Kind-Politik, etc. Trotzdem finde ich, findet die Veränderung weitgehend an den Rändern statt. Aber im Kern ist das geblieben, was das Denken und Fühlen der Chinesen geprägt hat. Das haben wir im Buch als Alltags-Konfuzianismus beschrieben. Der politische Konfuzianismus der seinerzeit war mit diesen strikten Ritualen, etc. Oskar Weggel, der bekannte Sinologe, hat das Meta-Konfuzianismus genannt. Das ist mit anderen Strömungen wie Taoismus, Legalismus, Buddhismus und neuerdings Marxismus, das ist zum Substrat geworden. Was eben wirklich bis heute weiterlebt und was im Kern die Chinesen weiter bestimmt und weiter bestimmen wird, da bin ich der festen Überzeugung.
Und die Chinesen haben die Fähigkeit, und das ist auch ein Kennzeichen einer sehr starken, alten Kultur, eine enorme Fähigkeit immer gehabt, fremde Einflüsse zu verdauen. Das Beste aus ihnen rauszuholen und unpassendes auszuschalten. Also die sinisieren im Grunde alles. Buddhismus ist sinisiert worden, die Mongolenherrschaft, die Mandschu-Herrschaft und auch der Marxismus und der Sozialismus. Was sich dort als Marxismus und Sozialismus definiert hat, das hat ja mit Karl Marx und dem was in der DDR und in der Sowjetunion, praktiziert worden ist, so gut wie nichts mehr zu tun.
Dazu kommt, das es in China keine Einwanderung aus fremden Kultur gibt. Das heißt die äußere Einflüsse, auch durch das teilweise abgeschottete Internet, das sind die äußeren Einflüsse schon sehr begrenzt. Natürlich reisen Millionen Chinesen ins Ausland, aber erstens halten sich dort auch meistens in Gruppen auf, unter ihresgleichen und da findet wenig echter Kontakt statt. Und es gibt, wie gesagt keine Einwanderung aus fremden Kulturen und chinesische Kultur ist so stark und die Fähigkeit sozusagen ausländische Einflüsse zu verdauen, die ist auch enorm. Also deswegen sehe ich, dass der Kern der Chinese, das was sie ausmacht, das wird sich nicht verändern.
Sabrina: Kann man vielleicht auch verallgemeinern wie die Chinesen den Westen sehen? Es wird viel sinisiert, heißt man sucht sich das Beste aus dem Fremden aus und übernimmt dies, vieles aber auch nicht. Wie sieht man als Chinese das was im Westen passiert?
Baron: Gemischt, auf der einen Seite positiv, auf der anderen Seite sieht man immer noch, dass der Westen technologisch und ökonomisch im Allgemeinen höher entwickelt ist als China. Auf der anderen Seite negativ, man sieht so ein gewisses Eingeschlafensein, Langsamkeit, Trägheit, Selbstzufriedenheit und man sieht, dass es zunehmend auch negativ betrachtet wird, wie beispielsweise mit Huawei oder dem Handelskrieg mit den USA.
Man sieht, dass der Westen versucht seine Position, und dass insbesondere die USA, diese Position, die man jetzt hat, mit allen Mitteln versucht zu bewahren und den Chinesen ihren rechtmäßigen Platz in der Weltordnung versucht zu verweigern. Das erinnert sie natürlich sehr stark an etwas, was ohnehin in der chinesischen Erinnerung sehr stark verankert ist, nämlich an den Imperialismus und den Kolonialismus und an die Opiumkriege, etc. Daraus entsteht natürlich ein zunehmender Nationalismus.
Sabrina: Sieht sich China gesellschaftlich denn bereits so überlegen, dass man aus dem WEsten auch gar nichts mehr übernehmen will?
Baron: Nein, soweit würde ich nicht gehen. Die beobachten ungeheuer genau, und viel genauer und wissen auch viel mehr über uns als wir über sie. Und das ist auch das große Problem damit und deshalb haben wir auch das Buch geschrieben. Wir haben gesagt, dass wir der großen Herausforderung, die China darstellt, ökonomisch, systempolitisch, geopolitische, etc., können wir nur angemessen entgegentreten, wenn wir wissen, was in China überhaupt vorgeht und wie die Denken und Fühle, was Sache ist und was nicht Sache ist. Wenn wir uns darum nicht kümmern und an unseren Stereotypen festhalten und von dieser ethnozentrischen Einstellung, dann werden wir dieser Herausforderung nicht gerecht werden.
Sabrina: Also ein Stück weit vom Imperialismus endlich mal weg kommen und einfach versuchen zu verstehen, was da einfach passiert.
Baron: Ja, weg von dieser Perspektive, aus europäischer oder US-amerikanischer, aus westlicher Sicht die Dinge zu betrachten und zu sagen, dass das was wir hier erreicht haben, sozusagen die ultima ratio ist und danach hat sich die ganze Welt auszurichten. Und wenn sie das nicht tun, dann kann das doch nur böse sein oder dumm. Davon müssen wir uns verabschieden. Das heißt nicht, dass wir uns von unseren Werten verabschieden, in gar keiner Weise. Ganz im Gegenteil. Meine Position ist nicht, die eines Chinaversteher, der ganz naiv deren Ansichten folgt. Gar nicht, sondern ganz im Gegenteil. Ich trete ein für eine knallharte Interessenpolitik von Europa. Diese können wir aber nur betreiben, wenn wir überhaupt wissen, was die Interessen der Chinesen sind. Wenn wir nicht wissen, wie sie denken und fühlen, dann machen wir Fehler. Dann können wir nicht erkennen was sie wollen und sehen nur die Gefahren. Dann können wir aber die Chancen nicht nutzen und es gibt enormen Chancen, die mit dem Aufstieg Chinas verbunden sind.
Was hier auch wichtig ist, sind die Interessen der USA, denen wir noch zu stark folgen, aber diese sind zunehmend nicht mehr identisch mit der europäischen Interessen. Die Amerikaner fürchten natürlich ihre Hegemonialstellung zu verlieren und versuchen die auf Teufel komm raus zu halten, aber für Europa bringt der Aufstieg Chinas eine historische Chance, sich auch freizuschwimmen von den Amerikanern, wieder eine eigene Größe in der Weltordnung zu sein. Und wenn wir mit der Seidenstraßeninitiative kooperieren würden, diese würde enorme Chancen bieten.
Sabrina: Ich sehe das genauso, dass das absolut auch Chancen bietet, was da passiert und man merkt es ja auch, weil momentan die Diskussionen in Europa, in Deutschland, auf einmal doch anfangen sich zu drehen, weil man China jetzt auch mehr Wettbewerber wahrnimmt und nicht mehr rein als das Land wo man mal hingeht und schnelles Geld macht. Das ist jetzt aber auch so ein Bild, das sich momentan einfach wandelt und ich mich da selber so ein Stück weit frage, wie sich so insgesamt unser Bild über China wandelt und ob sich das auch in der Öffentlichkeit tatsächlich wandelt. Also Wirtschaft ist eine Sache, aber auch das gesellschaftliche Bild, das wir von China haben. Tut sich da was in letzter Zeit?
Baron: Ja, das wird eindeutig negativer, einfach durch die alte, für uns sehr vorteilhafte Arbeitsteilung. Wirtschaftlich gesprochen. Wir verkaufen denen für ihre Entwicklung die Maschinen, die produzieren dort massenweise billige Produkte, die wir einkaufen. Da haben wir erstmal ein Vorteil, dass wir billige Produkte kaufen können, die vorher viel teurer waren und dann verkaufen wir ihn noch mit dem Geld, was wir verdiene durch den Verkauf von Schuhen und Textilien, damit verkaufen wir ihnen auch noch Mercedes und BMW. Das war eine super Arbeitsteilung. Vor allem für uns auch. Nur diese Arbeitsteilung geht natürlich zu Ende, ist teilweise schon zu Ende gegangen und die rücken uns richtig auf die Pelle und machen jetzt auch hochwertige Güter und sind teilweise sogar schon voraus. Und das macht natürlich wirtschaftlich Angst.
Und man sieht das ja, wie auch die deutsche Regierung eigentlich darauf reagiert. Bisher extrem defensiv. Defensiv und eher protektionistisch. Merkel sagt, wir müssen jetzt zwischen Staat und Wirtschaften ganz eng kooperieren, also will stärkere Industriepolitik machen. Etwas, was man den Chinesen auf der anderen Seite die ganze Zeit vorgeworfen hat und auch weiter vorwirft. Also eine ganz merkwürdige Entwicklung, die da eigentlich im Moment eintritt, anstatt zu gucken, wie wir uns selbst stärker machen, versucht man eigentlich eher eine defensive und protektionistische Linie einzuschlagen.
Mit der wirtschaftlichen Stärke China, kommt natürlich auch ein stärkerer Gestaltungsanspruch in der Weltpolitik auf der Seite von China, was ja logisch ist. Die ist von den Siegermächten des Zweiten Weltkriegs gemacht worden. Insbesondere von den Amerikanern und die berücksichtigt in gar keiner Weise, also weder in der UNO noch im IWF, noch in der Weltbank oder sonst wo, berücksichtigt das in keiner Weise China und die Schwellenländer, die neu dazu kommen, wie Brasilien. Die Engländer, die Franzosen, sitzen im Sicherheitsrat der UNO. China ist drin, aber im Grunde gehört da auch Indien rein und andere Länder. Das ist eine Weltordnung von gestern und China möchte diese Weltordnung natürlich ändern und den Gegebenheiten anpassen und das macht natürlich auch den Amerikanern große Angst.
Sabrina: Sie hatten jetzt auch gesagt, dass man auch chinesischer Sicht den Westen für seine Langsamkeit und Trägheit kennt und wahrnimmt. Das heißt für mich jetzt eigentlich, dass China da einfach neuen Wind mit reinbringt, auch in die Struktur internationaler Organisation und so weiter, dass das tatsächlich einfach eine Chance bietet, um mal Reformen einzuleiten. Allerdings heißt das natürlich für alle, dass man dann ein stückweit auch nachgeben muss.
Baron: Ja, grundsätzlich ist diese Chance gegeben und das wir den Atem nun wirklich spüren, müsste für uns eigentlich ein Antrieb sein. Und wenn ich „uns“ sage, dann meine ich Deutschland und Europa, nicht nur Deutschland allein, aber vor allem Deutschland, weil wir natürlich sehr stark wirtschaftlich auch von China abhängen und auch von einer neuen Weltordnung, in der China eine größere Rolle spielt, auch politisch enorm profitieren könnte. Eine Kooperation mit der Seidenstraße würde Deutschland ökonomisch enormes Wachstumspotential bringen, insbesondere für den Maschinenbaubranche. Wenn sich der Nahe und Mittlerer Osten entwickelt, könnten wir enorm profitieren, was das Wachstum angeht. Wir könnte für Europa und auch für Deutschland enorm profitieren. Und wenn wir dabei mitmachen, dann lösen wir damit jedenfalls zu ganz guten Teilen das große Integrationsproblem, denn wenn die Länder im Mittleren und Nahen Osten und in Afrika, wo die Flüchtlinge oder Immigranten herkommen, und es könnten zukünftig noch viel mehr her kommen, wenn diese Länder so von Krieg zerrissen sind und im Wohlstand nicht vorankommen. Aber wenn sich das ändert, wenn dort Wohlstand einzieht und Stabilität, dann ist das natürlich vor allem für Europa gut.
Sabrina: Ich würde ganz gerne noch mal kurz zu unserem China Bild zurückkommen, weil ich das ehrlich gesagt auch nicht so richtig verstehe und deswegen hoffe ich, dass Sie mir da weiterhelfen können. Die erste Schlagzeile, die ich gefunden hatte war von 1957 oder Spiegel betitelt hat mit „die gelbe Gefahr“. Das war glaube ich das erste Mal, dass das dann auch so hoch kam in der Presse. Der ausschlaggebende Grund für diesen Artikel war, dass Mao in Ungarn eine Rede gehalten hat und dann die Angst umging, dass sich der Kommunismus weiter ausbreitet. Ist aber nochmal eine andere Geschichte, als das was dann später kam. Ähnliche Titel wie „die gelbe Gefahr“ kamen immer wieder oder es war der rote Drache, der alles verschlingt und vor paar Wochen, da war es dann der Panda mit fletschenden Zähnen auf dem Titelblatt. Ich glaube, dass war das Handelsblatt. Also irgendwie zieht sich das immer durch. Aber eigentlich hätte ja die Wahrnehmungen Chinas so bis vor 5-10 Jahren deutlich positiver sein müssen, als wir noch größtenteils profitiert haben von Chinas Wachstum. Eigentlich sollte das Bild also erst jetzt ins Negative rumschlagen, aber eigentlich war das Bild ja schon immer negativ.
Baron: Also unser China-Bild hier im Westen, das hat sich mit der Zeit enorm gewandelt. Bis ins 18 Jahrhundert war es sehr positiv. Die alten Griechen waren China gegenüber sehr positiv. Herodot hat vom Land der Seide gesprochen, die Römer waren ganz begeistert von den Seidenlieferungen, von Marco Polo hat vom Reichtum erzählt, den er dort getroffen hat und ihm wurde gar nicht geglaubt als er zurück kam. Leibnitz, Vordenker der Aufklärung hat gesagt, dass Europa von China die Praxis einer Naturreligion lernen, also nicht unsere christliche Religionen, sondern Naturreligion. Rousseau, Voltaire soll sie ja angeblich zweimal täglich vor dem Bild von Konfuzius verneigt haben. Chinesische Philosophie, also insbesondere im Konfuzianismus und Taoismus, haben gesagt, China könnte als Vorbild für den aufgeklärten Absolutismus gelten. Kant hat Konfuzius gelobt, dass er die moralische Pflichten des Menschen besonders betont, wegen der praktischen Vernunft. Bis ins 18. Jahrhundert hinein. Dann denken Sie an die Zeit der der der Chinoiserie mit den chinesischen Gärten und den Salons im chinesische Stil, der im 18. Jahrhundert in Mode war. Ich glaube das war der Höhepunkt, positiv bis ins 18. Jahrhundert. Und China hat damit auch einen bedeutenden geistigen Beitrag zum Zusammenbruch des Ancien Régime geleistet, also der Herrschaft von Adel und Kirche und damit zu Modernisierung des Westen.
Aber dann ist es abgebrochen, je mehr demokratische Ideen entwickelt wurden und je näher die industrielle Revolution rückte, desto mehr wurde dann das Bild negativ. Hegel hat dann schon gesagt das Statarische, was sich nicht bewegt. Im Grunde das, was die Chinesen heute uns vorwerfen. Das statarische, das Festkleben am Alten. Die Unfähigkeit sich zu verändern.
Nietzsche hat Kant dafür enorm kritisiert. Dann kam der Kolonialismus, die Opiumkriege. Denken sie an die Hunnenrede von Kaiser Wilhelm. Der Begriff gelbe Gefahr kommt von ihm. Der hat als das Expeditionskorps unter deutscher Leitung zur Niederschlagung des Boxeraufstandes 1900 nach China geschickt wurde die Hunnenrede gehalten. Da hat er gesagt, dass der Name Deutschlands in China bekannt werden soll, wie sich Hunnen die vor tausend Jahren einen Namen gemacht haben. So, dass es nie mehr ein Chinese wagt einen Deutschen auch nur schäl anzusehen. Er sagte, dass Peking dem Boden gleich gemacht werden solle und, dass die Soldaten keine Gnade walten lassen sollen. Wilhelm der Zweite sprach schon damals, im 19. Jahrhundert, von der gelben Gefahr. Das ist gar nicht mal so alt.
Max Weber sprach von der Erstarrung des Geisteslebens in China. Der „Zaubergarten“, mit vielen Mythen und Aberglauben. Er hat ausgeschlossen, dass China eine Wirtschaft und Technik moderner Prägung entwickeln könne.
Der Maoismus war dann ganz negativ belastet. Anfang der 70er Jahre, nachdem Nixon und Kissinger in Peking waren und wieder diplomatische Beziehungen zu China aufgenommen hatten, und die Hoffnung entstanden war, dass China sich dem Westen annähert, gab es eine Phase in der ein besseres Bild von China entstanden ist. Dies liegt auch an Deng Xiaoping. Das ist dann aber jetzt mit Xi Jinping wieder ins Negative gekippt. Xi Jinping wird gerne mit Mao verglichen. Ich halte das nur sehr partiell für richtig. Es entsteht eine Angst vor der wachsenden wirtschaftlichen Stärke und einem vermeintlichen Hegemonialstreben. Nach dem Motto: Was nicht sein darf, das kann nicht sein. Anders gesagt: Es kann eigentlich nicht sein, dass ein nicht-westlich und nicht-demokratisch verfasstes Gemeinwesen erfolgreich ist. Das geht gegen alles, was wir gelernt haben. Deswegen gibt es inzwischen einen richtigen Antisinozismus. Das erinnert mich manchmal sogar fast an Antisemitismus. Natürlich kann man das in Deutschland nicht vergleichen. Wir denken hier immer sofort an den Holocaust. Wenn man das Ganze aber aus einer stärker internationalen Perspektive betrachtet, dann ist das eine pauschale, vorurteilsbehaftete Denkweise, die wirklich Parallelen zum Antisemitismus aufweist. Man guckt sich einen Feind von außen als Sündenbock aus. Man sagt: Die Chinesen sind ja überall so erfolgreich, egal wo sie sind. Das kann doch gar nicht mit rechten Dingen zugehen, die betrügen! Und so weiter. Das hat schon Parallelen. Ich finde das ganz furchtbar. Wenn wir mit dieser Geisteshaltung weiter machen, gibt es nicht nur einen kalten Krieg, sondern womöglich noch einen heißen.
Sabrina: Zum Thema mit dem Chinabild: Auch wenn es in Deutschland sehr negativ belastet ist, so hat man immer noch den Eindruck, dass alles in Richtung Kooperation geht, und nicht wie in den USA in Richtung Abgrenzung.
Baron: Ja, klar. Natürlich weil sich die USA sich in ihrer Hegemonialstellung bedroht sieht. Sie versuchen diese mit allen Mitteln zu verteidigen. Das trifft auf Deutschland nicht zu. Die USA ist auch ökonomisch weit weniger von China abhängig als wir. Insofern ist unsere deutsche Position schon anders als die amerikanische. In meiner Sicht ist sie allerdings noch nicht weit genug anders. Sie müsste noch viel stärker kooperativ mit China sein, im europäischen Rahmen!
Sabrina: Insbesondere vor einem wirtschaftlichen Hintergrund?
Baron: Nicht nur. Wir laufen Gefahr auf der falschen Seite der Geschichte zu landen und nicht mitzukriegen, wie sich die Verschiebung des Schwerpunktes der Weltpolitik und Weltwirtschaft nach Osten und Süden verschiebt. Das ist eigentlich eine große Chance für uns. Die Wachstumschancen durch die Seidenstraße, oder die politische Stabilisierung Europas, die sich durch die Lösung des Immigrationsproblems ergibt. Wir können ein Mittler und Friedensstifter zwischen den beiden großen Hegemonialkräften China und USA sein. Mit dem Aufstieg Chinas, seiner Außenpolitik und der Errichtung der neuen Seidenstraße, könnte man ein bedeutende Rolle Europas in der künftigen Weltordnung verbinden. Es wäre eine große Gefahr, das alles zu verpassen. Ganz einfach weil wir nicht genug über China, und seine Motivationen wissen und von Stereotypen belastet sind.
Sabrina: Ich sehe das auch momentan als große Chance. Das Handeln Chinas führt bei uns zu einem Umdenken. Ich sehe momentan aber auch ein wenig die Gefahr, dass man anfängt sich zu sehr mit sich selbst, und nicht genügend mit China zu beschäftigen.
Baron: Sie haben völlig Recht. Man setzt sich bislang nur sehr defensiv auseinander. Es geht nur darum wie man die Chinesen außenvorhalten kann, indem man beispielsweise die Investitionsgesetze verändert. Es geht allerdings nicht darum, wie wir selbst in vielen zukunftsweisenden Bereichen vorankommen können. Industrie 4.0, um mal ein Stichwort zu nennen. Künstliche Intelligenz und Robotik. Und so weiter. Da geben wir drei Milliarden für künstliche Intelligenz aus. Das sind lächerliche Beträge im Vergleich zu China. Die geben für den gleichen Bereich 100 Milliarden aus. Auf der anderen Seite versuchen wir sie dann von Investitionen in bestimmte Bereiche auszusperren. Ich bin dafür, dass wir eine Negativliste machen. Wir sollten ökonomisch und politisch strategisch wichtige Bereiche für uns festlegen, in denen wir keine Investitionen von China und von anderen Parteien außerhalb der EU annehmen sollten. Das könnte sich auch genauso gegen die USA richten. Das muss allerdings stark auf wirtschaftliche und politische Bereiche begrenz sein.
Sabrina: Kann man denn momentan auch Punkte beobachten, in denen man innerhalb der EU umsteuert? Beispielsweise, dass die EU mit Blick auf die neue Wirtschaftsmacht China deutlich handlungsfähiger werden muss? In letzter Zeit wurde viel über das Einstimmigkeitsprinzip bei Entscheidungen in der EU diskutiert. Mir scheint es als würde diese Diskussion wegen China geführt werden. Das wäre ja ein durchaus positiver Effekt. Könnte dies zu generell mehr Reformationen in der EU führen?
Baron: Hoffentlich! Ich bin mir da nur nicht so sicher ob das wirklich kommt. Was ich bisher sehe ist, dass man hauptsächlich Investitionshindernisse aufbaut und versucht, das über Verteufelung und defensive, protektionistische Maßnahmen anzugehen. Ich vermisse eine offensive Strategie. Wo sind wir heute zu schwach aufgestellt? Und was müssen wir tun, damit wir stärker werden und dieser Chinesischen Herausforderung gewachsen sind. Das bedeutet eine totale Umsteuerung in den Ausgaben, wir müssen viel mehr für Bildung, Wissenschaft und Zukuntsindustrien ausgeben.
Sabrina: Was wären denn da ihre Handlungsempfehlungen? Gerade bezüglich Industrie 4.0 oder künstliche Intelligenz. Wie sollte man da in der Kooperation mit China vorgehen? Sie hatten schon von einer Negativliste gesprochen. Gibt es da noch andere Grenzen die man setzen muss? Oder anders gefragt: Haben wir als kleines Deutschland überhaupt die Möglichkeit Grenzen zu setzen?
Baron: Klar haben wir die Möglichkeit Grenzen zu setzen. Nur darf der Ansatz Grenzen zu setzen nicht im Vordergrund stehen. Wie gesagt, an bestimmten Stellen müssen wir regulieren. Aber unser Hauptaugenmerk muss auf unserer eigenen Stärkung gesetzt sein. Nicht auf das Setzen von Grenzen. Wir müssen vernünftige, für uns gewinnbringenden und unseren Interessen entsprechende Kooperationen mit China eingehen. Ganz grundlegend ist da die Teilnahme an der Seidenstraße Initiative. Da verweigert sich Europa bislang weitestgehend. Das ist keine Politik, die im Interesse Europas steht. Wir können enormen Einfluss nehmen. Was will China mit der Seidenstraße Initiative? Sie wollen ihre westlichen Provinzen entwickeln. Sie wollen ihre Überschüsse im Ausland absetzen. Sie wollen, dass ihre großen Infrastrukturfirmen Aufträge bekommen. Im Wesentlichen aber wollen sie den Schwerpunkt der Weltwirtschaft nach Eurasien zurückverlangen, wo er Jahrtausende lang war. Bei den Römern, den Griechen oder den Babyloniern und den Ägyptern war von Amerika und dem Atlantik keine Rede. Es ging immer um Eurasien. Das war der Mittelpunkt der Welt. China will Eurasien wieder zum Mittelpunkt der Welt machen. Nicht weil sie Eurasien beherrschen wollen, sondern weil sie damit ihre eigene Situation stärken und ihre Versorgung sicherstellen können.
China hat kein Hegemonialstreben wie die USA. Die Chinesen haben keinen Missionarsgeist und kein Sendungsbewusstsein. Sie wollen nicht wie die Amerikaner die Weltpolizisten spielen. Wenn sie das gewollt hätten, hätten sie das schon öfters in der Geschichte machen können. Zheng He hätte die Welt erobern und übernehmen können. Das hat die aber nicht interessiert. Das sehen sie auch heute nicht, die genügen sich selbst. China ist groß genug. Aber China braucht, wenn sie den Weltschwerpunkt wieder nach Eurasien verlegen wollen, Europa. Wenn Europa aber nicht mitmacht und sich den USA anschließt, dann führt das zu einer Zweiteilung der Welt. Und ich habe große Zweifel ob die friedlich sein wird. Europa hätte die Chance zu kooperieren, ohne, dass das auf eine Konfrontation mit den USA herauslaufen wird.
Sabrina: Ich wollte schon gerade die Frage stellen, ob wir uns künftig vielleicht mehr als Eurasier sehen sollten und nicht rein als Europäer.
Baron: Definitiv! Unsere Zukunft liegt in Eurasien, nicht in der transatlantischen Gemeinschaft. Das heißt nicht, dass wir mit den Amerikanern brechen sollen. Im Gegenteil, wir können als Europa dafür sorgen, dass es zwischen China und den USA friedlich zugeht.
Sabrina: Wie würden sie denn da die Rolle der Medien einordnen. Aktuell ist die Berichterstattung sehr negativ. Was müsste passieren, damit sich dieses Bild wieder dreht und man mehr Richtung Kooperation und Eurasien geht?
Baron: Die Rolle der Medien ist leider ganz furchtbar. Das geht schon in der Schule los. Was wird denn über chinesische Geschichte in der Schule gelehrt? Nichts! Nur 5000 Leute lernen in Deutschland aktuell Mandarin. In Spanien sind das 30.000, in Frankreich 40.000. Schauen sie sich die Forschungsinstitute in Deutschland an. Da forscht allein das MERICS über China. In Amerika gibt es mindestens ein Dutzend. Die Medien berichten über jeden Tweet von Donald Trump. Aus China kommt allerdings insgesamt viel zu wenig. Und wenn was kommt, dann immer über die gleichen Themen. Die großen deutschen Medienhäuser haben vielleicht zwei Leute in China. Bloomberg hat in China fünfzig. Wall Street Journal, New York Times, Washington Post. Die haben ein Dutzend Leute dort. Die deutschen Medien sind dort viel zu schwach vertreten. Im Fernsehen wird nicht mal Vor- und Nachname auseinandergehalten. Es besteht nur ein ganz spärliches Wissen.
Es gibt eine ganz einseitige, transatlantische Orientierung. Das ist verständlich, wir sind seit Jahrzehnten mit Amerika verbunden. Wir müssen den Amerikanern auch dankbar sein. Marshallplan, Luftbrücke, Wiedervereinigung und so weiter. Wir teilen mit den USA auch gewisse Grundwerte. Es gibt auch viele Institutionen wie die Atlantikbrücke. All das teilen wir mit China nicht. Wir haben also zwei Dinge. Zum einen ein grauenvoll mangelndes Wissen über China. Und zum anderen eine einseitige, transatlantische Orientierung. Die führt auch dazu, dass in deutschen Medien sehr stark die amerikanische Sichtweise einfließt.
Sabrina: Das heißt also, dass es Zeit für eine umfassende Überarbeitung unseres Konzeptes ist. Nicht nur die Medien betreffend. Sondern auch Bildung, Forschung und Wissenschaft.
Baron: Absolut! Das Auswärtige Amt hat erst 2017 mit Gabriel eine eigene Asienabteilung aufgemacht. Vorher war das mit Afrika zusammengefasst. Der Economist beispielsweise hat schon vor vielen Jahren eine eigene China Rubrik eingeführt. Die Rubrik USA gibt es dort bereits noch länger. Seit vielen Jahren gibt es aber auch die Rubrik China. Die kümmern sich viel intensiver um das Thema China. Als wir das Buch geschrieben haben ist uns aufgefallen, dass man fast ausschließlich auf amerikanische und chinesische Literatur angewiesen ist. An deutscher Literatur gibt es da fast gar nichts.
Sabrina: Wenn man das mit den USA vergleicht, hat die vermehrte Berichterstattung dort aber auch nicht zu einem positiveren China-Bild geführt.
Baron: In der allgemeinen Bevölkerung und der Politik nicht. Wenn man sich allerdings die Wissenschaft anschaut, dann merkt man, dass amerikanische Wissenschaftler viel besser Bescheid wissen. Es gibt einen Unterscheid zwischen Bescheid wissen und ein Urteil zu fällen. Die Amerikaner wissen wovon sie reden und entscheiden sich dann vielleicht aus nationalen Gründen gegen China. Aber immerhin wissen sie wovon sie reden.
Sabrina: Gerade wenn man sich wissenschaftlich informieren will, dann findet man in den USA sehr viel Fundiertes. Man muss das aber selber bewerten können. Das kann man aber nur wenn man die nötige Grundausbildung hat. Das kann ich vielen, die sich zum Thema äußern, leider nicht unterstellen. Wir haben das heute bereits im Rahmen vom nationalen Volkskongress besprochen. Bei fast allen großen Zeitungen findet man dieselben Überschriften. Diese sind dazu oft nicht mal korrekt.
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