Chinas Mobile Payment Revolution
Mobile Payment in China
Innerhalb weniger als einer Dekade hat sich China von einem Bargeld-Land zum weltweiten Vorreiter für mobiles Zahlen, dem mobile payment, entwickelt.
Flashback ins Jahr 2012. Wir befinden uns auf einem Markt in Shanghai. Eine Verkäuferin verhandelt mit einem Interessenten über den Preis für eine Wassermelone und zwei Äpfel. Man einigt sich auf die Mitte, Obst und Bargeld wechseln den Besitzer.
Zurück in die Gegenwart. Auf dem Markt werden noch immer Äpfel und Wassermelonen verkauft. Am Handel hat sich inzwischen allerdings eine entscheidende Tatsache geändert. Anstatt mit Bargeld zu bezahlen, zückt der Käufer heute sein Smartphone, scannt einen am Obststand ausgehängten QR-Code ein und bezahlt den vereinbarten Betrag per App.
Was in Deutschland noch kaum Fuß fassen konnte ist in China mitnichten nur auf Shanghai begrenzt. Auch in weniger entwickelten Provinzen ist das Zahlen mit Mobiltelefon inzwischen ein fester Bestandteil des alltäglichen Lebens. Innerhalb weniger als einer Dekade hat sich die Volksrepublik von einem Bargeld-Land zum weltweiten Vorreiter für mobiles Zahlen entwickelt.
Wieso aber ist gerade China der Umstieg von Bargeld auf digitales Zahlen so reibungslos gelungen? Während die USA, das Heimatland digitaler Pioniere wie Google, Apple und Amazon, noch weit hinterher ist?
Zwei Anbieter dominieren den Markt
Um eine Antwort auf unsere Frage zu finden, lohnt es sich zunächst ein generelles Verständnis über die aktuelle Marktlage und vor allem die Funktionsweise Chinas mobiler Zahlungsplattformen zu gewinnen.
Liest man im Internet von „Mobile Payment Systems“ oder „Third-Party-Payment-Provider”, sind damit in China meistens die beiden großen Plattformen WeChat Pay und Alipay gemeint. Zusammen nimmt das Duopol über 90% des gesamten mobilen Zahlungsverkehrs im Land ein.
Die App Alipay wurde ursprünglich von Alibaba als sichere Zahlungsmethode für das hauseigene Online-Auktionshaus Taobao entwickelt. Heute ist Alipay mit über 50% Marktanteil landesweit die populärste App für mobiles Zahlen. WeChat Pay hingegen ist in Chinas größtes soziales Netzwerk WeChat eingebettet. Vom Internet-Unternehmen Tencent im Jahre 2009 etabliert, kombiniert WeChat geschickt Soziales mit finanziellen Elementen. (Mehr über Wechat im Alltag finden Sie auch in der Podcast-Folge hinter diesem Link)
Alipay und WeChat Pay durchdringen das Leben ihrer Nutzer
Grundlegend unterscheiden sich beide Systeme allerdings nur wenig voneinander. User verbinden die App direkt mit einem Bankkonto und nutzen sie sowohl online als auch offline als Zahlungsform. Beide Plattformen bieten eine mannigfaltige Palette an Funktionen an. Durch die Möglichkeit, Telefon-, Wasser- oder Stromgebühren zu begleichen, Taxis zu bestellen, Geld an Freunde zu überweisen, Lotto zu spielen, Essen zu bestellen, Flug- und Zugtickets zu erwerben, Hotelzimmer zu buchen oder Kinokarten zu kaufen, durchdringen Alipay und WeChat-Pay fast jeden Bereich im Leben ihrer Nutzer. Wer will kann seinen persönlichen Zahlungsverkehr hierdurch komplett über das Mobiltelefon abwickeln. Dies ist ein gravierender Unterschied zur grundliegenden Funktionsweise im Westen populärer Zahlungsdienste. Das in Deutschland wohl am meisten verbreitete E-Wallet PayPal, dient hauptsächlich der Zahlung an sich. Chinas E-Wallets lassen sich hingegen eher als Lifestyle-Plattformen verstehen.
Im Jahre 2019 nutzen in China 500 Millionen Menschen ihr Handy für Zahlungen am Point-of-Sale. Weit dahinter liegt die USA, mit nur knapp 30 Millionen Nutzern. Chinas Entwicklung zur Vorläuferrolle lässt sich durch den Einfluss mehrerer separater Faktoren erklären.
Mobiles Zahlen als Alternative zur Kreditkarte
Vor dem Aufstieg von Alipay und WeChat-Pay war die vorherrschende Zahlungsmethode in China schlicht Bargeld. In den meisten modernen Industrienationen wird heute allerdings nicht in bar, sondern in der Regel mit Kredit- und Debitkarten gezahlt. So geben in den USA 75% der Konsumentinnen und Konsumenten die Kreditkarte als ihre liebste Zahlungsmethode an.
Im Zuge der Öffnung des Landes und dem damit einhergehenden Wohlstandswachstum entstand in China zum Beginn des neuen Jahrtausends eine neue Mittelschicht. In dieser entwickelte sich ebenfalls rasch ein Bedürfnis nach neuen Finanzprodukten und digitalen Zahlungsmethoden. Das verstaatlichte Bankensystem Chinas konnte dieser Nachfrage allerdings mit seinem traditionellen Angebot nicht nachkommen. Die durch fehlende Agilität im Bankensektor entstandene Lücke füllten schließlich private Drittanbieter wie Alibaba und Tencent. Nicht aber mit Geldkarten, sondern in Form von mobilem Zahlen. Die Kreditkarte konnte sich als neues Zahlungsmittel in China nie wirklich etablieren, sie wurde durch Alipay und WeChat-Pay direkt übersprungen. In Amerika und anderen westlichen Ländern ist die Nachfrage nach neuen, digitalen Zahlungsmethoden niedriger. Der einfache Grund dafür ist die in der Gesellschaft bereits seit Jahrzehnten bestehende Akzeptanz für Geldkarten.
Verbraucherbedürfnisse werden nicht von den Banken erfüllt
Neben alternativen Zahlungsformen bieten Alipay und WeChat-Pay im Gegensatz zum chinesischen Bankensektor auch attraktivere Formen von Vermögensverwaltung an. Staatliche Banken verpassten nach der Jahrtausendwende ebenfalls ihr Angebot an Finanzprodukten an den neuen Verbrauchertypus anzupassen. Als Antwort darauf implementierten Tencent und Alibaba neue Funktionen für Kapitalanlage, Bonitätsmessung und Kreditvergabe in ihre Systeme. Laut der Wirtschaftsprüfgesellschaft Ernst & Young betrachten chinesische Endverbraucher die finanziellen Dienste Chinas großer Banken als innovationslos, monoton und nicht genügend benutzerorientiert. Dienste von Drittanbietern hingegen bieten laut den Befragten attraktivere Gebühren, bessere Funktionalität, besseren Service und ein innovativeres Angebot.
Die Regierung lässt der Industrie freien Lauf
Eine Verbreitung von mobilen Zahlungsmethoden ist auch für Chinas Regierung von Interesse. Zunächst entstehen Chancen für eine effektivere Eindämmung von Steuerhinterziehung, Korruption und Geldwäsche. Nicht zuletzt aber dienen Daten über das Zahlungsverhalten der Bürger auch der Vorbereitung auf das für 2020 geplante „Soziale Kreditsystem“, das jedem Chinesen eine Art sozialen Punktestand zuteilt. Dieser Wert setzt sich aus diversen Faktoren, beispielsweise dem Bildungsgrad, dem Beruf, dem sozialen Umfeld, dem Strafregister, aber auch dem Zahlungsverhalten und der Spar- und Konsumneigung eines jeden einzelnen zusammen. Da das nationale Kreditwürdigkeitssystem allerdings für die Erhebung von ausreichenden Daten ungenügend ausgebaut ist, hat die Regierung zusätzlich Alibaba und Tencent beauftragt, Nutzerdaten ihrer Dienste zu sammeln und in das System einfließen zu lassen. Dementsprechend viele Freiheiten gewährt die chinesische Regierung der Industrie. Durch das geringe Eingreifen des Staates entstanden für Alipay und WeChat Pay in Folge dessen innovationsfördernde Freiräume in der Weiterentwicklung ihrer Plattformen.
Und bei uns?
Auch in Europa akzeptieren Verkäufer vermehrt chinesische Zahlungssysteme. Beispielsweise an der Luxuseinkaufsstraße Via Condotti in Rom oder in der Münchner Innenstadt passt man sich an das Verhalten der kaufkräftigen chinesischen Kundschaft an. Bei Rossmann und DM kann man seit einigen Jahren Milchpuder oder Hautcreme per QR-Code bezahlen.
Unter der deutschen Bevölkerung selbst und in anderen europäischen Ländern hingegen scheint mobiles Zahlen aktuell noch nicht wirklich angekommen zu sein. Im Vergleich zu Chinas 500 Millionen Nutzern, zahlten in Deutschland dieses Jahr nur knapp 2,1 Millionen Menschen am Point-of-Sale mit ihrem Handy. Trotz der Einführung von Apple Pay. Doch nicht nur im Vergleich mit China, sondern auch im europäischen Vergleich hinkt Deutschland etwas hinterher. Während unter 30-Jährige hierzulande mobilem Zahlen gegenüber generell positiv eingestellt sind, ist es eher die ältere Generation, die sich mit einer Umstellung schwertut. Zu den größten Bedenken zählen Daten- und Kontosicherheit.
Der globale Trend ist klar
Mobiles Zahlen ist beides – eine zukunftsweisende Technologie, aber auch ein weiterer Schritt hin zum gläsernen Menschen. Prognosen sagen voraus, dass sich der Trend nicht nur auf China begrenzen, sondern weiter auf westliche Länder ausbreiten wird. Interessant bleibt zu beobachten, mit welchen Zahlungsplattformen wir in Zukunft bezahlen werden. Apple Pay und Google Pay aus den USA, oder Alipay und WeChat Pay aus China?
Autor: Unser Chinalogue-Teamer Vincent Fremery.